
Hannah Eitel: Du hast mir erzählt, ihr habt euch ein Jahr lang auf Trump 2 vorbereitet. Vor allem auf das „project 2025“. Was genau heißt es? Worauf habt ihr euch vorbereitet?
Ella Müller: Wir haben uns sehr früh, also im Januar 2024, zusammengesetzt und überlegt: Wie gehen wir als Team, wie gehen wir als Büro, als Stiftung mit diesem Wahljahr um? Wir haben entschieden,vdass wir diese Wahl etwas anders behandeln wollen als die letzten Wahlen. Wir beschäftigen uns sehr intensiv inhaltlich mit den Plänen der Republikanischen Partei für eine mögliche zweite Amtszeit. Damals war Trump noch gar nicht nominiert, aber es gab eben schon diese Pläne „Project 2025“, die sozusagen ein Zusammenschluss aus Thinktanks, aber vor allem das konservative Establishment hier in Washington D.C. aufgeschrieben hatte, um eben dieses Mal vorbereitet zu sein auf eine mögliche erneute Amtszeit. Und das ist ein sehr, sehr langer Text, also mehrere 100 Seiten.
Und wir haben uns das zu Herzen genommen, uns angeschaut und sind das Kapitel für Kapitel gemeinsam durchgegangen. Jeder im Team eben mit einem Schwerpunkt und Fokus darauf, wo er oder sie sich auskennt. Wir haben gemeinsam besprochen: Was heißt das eigentlich, was die wollen? Was steht da eigentlich? Und diese inhaltliche Auseinandersetzung hat uns erst mal geholfen, ein bisschen Boden unter den Füßen zu kriegen, wenn man so will. Durch die konkrete Auseinandersetzung hat man das Gefühl, wir sprechen jetzt nicht sehr abstrakt über den Untergang der Demokratie oder die Demokratiekrise oder den Angriff auf die liberale Demokratie, sondern wir sprechen über ganz konkrete politische Vorhaben. Die sind, wenn man sie sich genauer anschaut, alle natürlich furchtbar. Das erleben wir jetzt ja auch gerade, und sie sind extrem bedrohlich.
Es ist ein Arbeitsauftrag: alles, was die Rechten sagen ernst nehmen: Die meinen das so, das ist ihr Programm.
Darauf aufbauend haben wir überlegt: Was bedeutet das für dieses Land? Was bedeutet das für unsere Arbeit, Was bedeutet das für unsere Partnerinnen und Partner? Und diese inhaltliche Auseinandersetzung hat erstmal dazu geführt, dass wir einfach am Anfang des Jahres einen Moment hatten, in dem wir auch in einem geschützten Rahmen unser Entsetzen darüber, was die Vorhaben ausdrücken konnten. Also auch einfach die Gelegenheit hatten zu sagen Menschenskinder, das ist wirklich, wirklich bedrohlich und unheimlich, was da drin steht.
Aber als diese Arbeit abgeschlossen war mussten wir auch nicht permanent in dieses Entsetzen zurückfallen. Unsere Reaktion war nicht andauernd: Das können die doch nicht tun, oder? Das macht doch gar keinen Sinn, oder? Das schadet Ihnen doch, oder? Wir wissen, dass das kommt. Das bedeutet das konkret und so müsste man eigentlich darauf reagieren. Also einen gewissen Abstand, eine gewisse Nüchternheit und auch eine gewisse Disziplin, was so die eigenen Gefühle und die eigene emotionale Reaktion auf diese Politik betrifft.
Du hast gesagt, ihr habt euch das angeguckt und auch hingeguckt. Was bedeutet das natürlich für das ganze Land, aber auch für euch und für eure Partner, für eure Verbündeten. Und da würde mich jetzt vielleicht interessieren was waren denn so wirklich für euch dann zentrale Dinge, mit denen ihr weiter gearbeitet hat? Also welche Ergebnisse fandet ihr wichtig für euch und eure Arbeit und für eure Partner. Und was habt ihr dann? Oder habt ihr was damit getan?
Es war uns klar: Die US-Administration wird uns ab dem Moment, wo sie im Weißen Haus eingezogen sind, als Antagonisten sehen. Das ist die Erfahrung, die auch Europa gemacht hat mit J.D. Vance, mit Musk oder auch mit Trump. Aber wer sind denn dann unsere Partner hier im Land? Wir müssen enger zusammenarbeiten mit Landesregierungen, vor allem mit demokratischen Landesregierung. Für uns als Büro Washington der Böll-Stiftung ist das nicht leicht, überall im Land präsent zu sein, wir sind ein überschauberes Team. Aber wenn man sich dafür entscheidet, dass das strategisch wichtig ist, dass das inhaltlich wichtig ist für unsere Arbeit, dann ging das eben schon. Und das hieß, dass wir sehr gezielt Projekte ausgerichtet haben auf Orte, an denen wir vorher gar nicht so oft waren, also Michigan zum Beispiel oder Kalifornien, dass wir gesagt haben, okay, wir müssen an diese Orte fahren, wir müssen verstehen, wer dort arbeitet, an Themen, die für uns wichtig sind, wer interessiert ist an diesem transatlantischen atlantischen Austausch und unsere Netzwerke erweitern, um dann eben noch weiter Partner zu haben.
Was wir vorher als USA Büro noch nie machen mussten, ist uns darüber Gedanken zu machen, wie man Leute schützen in autoritären Staaten kann. Welche Verantwortung tragen wir da? Welche Maßnahmen müsste man vorbereiten? Was passiert, wenn einer unserer engen Partner tatsächlich ins Visier der Trump-Administration gerät und zum Beispiel aus dem Land muss? Wie verhält man sich in solchen Situationen? Das durchzudenken und vorzubereiten, war auch ein wichtiger Teil unserer Arbeit und ist es bis heute.
Ihr habt euch diese Pläne der republikanischen Partei angeschaut und – wenn ich dich richtig verstehe, unterscheidet euch das von vielen anderen – habt ihr sie vollkommen ernst genommen.
Ja und ich meine das nicht normativ, sondern als Arbeitsauftrag, dass man alles, was die Rechten sagt, was die Rechte publiziert, erst einmal annimmt als: Ja, die meinen das so und ja, das ist das Programm und ja, das sind die Ambitionen. Nicht denken: Das ist doch nur Taktik, oder Das sagen Sie doch nur, weil Wahlkampf ist, oder? Das sagen Sie doch nur, um die Demokraten zu ärgern.
Uns hat es mehr geholfen, einfach zu sagen: Wir nehmen das ernst. Es hilft dabei, die Vorstellungskraft laufend zu trainieren, sich gedanklich in eine Situation zu bringen, die heißt ja, das ist möglich, Ja, das kann passieren. Und gleichzeitig dann, wenn so ein Moment tatsächlich kommt, nicht permanent überrascht und fassungslos zu sein und dadurch natürlich auch orientierungslos und wehrlos. Das ist ja im Grunde genommen der gefährlichste Zustand, in dem wir als demokratische Menschen sein können. Also sozusagen überfordert, wehrlos, orientierungslos.
Viele sagen, die amerikanische Opposition befinde sich in einem Schock. Helfen euch eure Vorbereitungen gegen diesen Schock und was müsste jetzt getan werden?
Ich war überrascht und entsetzt und auch wirklich ein bisschen ratlos darüber, warum die Zivilgesellschaft hier in den USA der Trump-Administration so viel Zeit und so viel Raum gegeben hat, ihr Programm umzusetzen in den letzten 100 Tagen. Damit meine ich nicht die Leute auf der Straße, die Amerikanerinnen und Amerikanern, sondern damit meine ich in erster Hinsicht vor allem die großen etablierte zivilgesellschaftlichen Institutionen.
Dazu gehören die Universitäten, dazu gehören die großen Stiftungen, die Gates Foundation, die Universitäten, dazu gehören Thinktanks, dazu gehören aber auch große NGOs, Bürgerrechtsorganisationen, die teilweise über 100 Jahre alt sind, Umwelt- und Klimaschutzorganisationen, die ebenfalls Anfang des letzten Jahrhunderts gegründet wurden. Hier ist viel vorhanden, was eine gesunde, eine lebendige Demokratie ausmacht. Diese Insitutionen haben auch ein gesundes Selbstbewusstsein gegenüber dem Weißen Haus.
Die liberalen Eliten haben versagt. Sie waren nicht vorbereitet und sind nicht wehrhaft aufgetreten. Das hätte nicht passieren müssen, man konnte vorbereitet sein. Jetzt organisieren sie sich kollektiv, und das funktioniert.
Und trotzdem gab es erstmal viel zu lange überhaupt keinen Widerstand, kein Pushback gegen gegen Trump, gegen Musk. Im Gegenteil haben wir am Anfang eine Annäherung erlebt an diese aktuelle Regierung, die es so in dieser Form noch nie gegeben hat. Also Unternehmen, die sich überschlagen haben, um Trump sein Geld zu spenden für seine Amtseinführung, alle möglichen. Auch Gewerkschaftsbosse, die sich gedrängelt haben um Einladung ins Weiße Haus. Mit großer Bereitwilligkeit, mit großer Geschwindigkeit wird sich hier angepasst an neue Machtverhältnisse, war der Eindruck. Also das Gegenteil von dem, was wir 2017 in der ersten Trump Amtszeit erlebt haben. Und das war sehr beunruhigend.
Und was jetzt tatsächlich funktioniert, und das ist beruhigend zu sehen, ist: In dem Moment, wo sich diese Institution kollektiv organisieren, also wo sie sich zusammentun, sei es Universitäten, sei es Gewerkschaften, sei es bestimmte Unternehmensfelder, können sie auf einmal in der Stärke gegenüber der aktuellen Administration auftreten, die den Leuten im Weißen Haus durchaus imponiert und die es ihm viel schwerer macht, seine politische Agenda durchzusetzen. Das können wir belegbar sagen: Eine kollektive Reaktion an Stelle einer individuellen Reaktion, wenn man angegriffen wird, wenn diese Institution angegriffen wird, ist das einzige, was funktioniert gegenüber dieser Regierung, und das muss auch die Voraussetzung sein. Das ist das Learning aus den ersten drei Monaten.
Also, was wir hier erlebt haben in den letzten drei Monaten, das war weniger ein Versagen der US Bevölkerung, sondern das war ein Elitenversagen. Und damit meine ich auch liberale Eliten. Dass sie sich nicht besser organisiert hatten, dass sie nicht von Anfang an wehrhafter aufgetreten sind, sondern so lange gebraucht haben, um einen Umgang mit Trump zu finden. Das hätte nicht passieren müssen, denn dafür wussten wir zu viel im letzten Jahr, man konnte sich vorbereiten.
Die Regierung greift ja auch Individuen an. Menschen werden deportiert, sogar wenn sie legal in den USA leben. Wie schätzt du die Proteste in der Bevölkerung ein? Was können sie schaffen?
Vor kurzem sind in allen 50 Staaten Leute auf die Straße gegangen unter dem Motto „Hands off“ (Hände weg). Das war eine direkte Reaktion auf diese Fälle der Deportation von einzelnen Menschen, die hier legal im Lande sind. Das war ein großer Protest, über den auch berichtet wurde.
Aber es läuft sehr viel dezentral und lokal: Jeden Donnerstag nach der Arbeit treffen sich hier bei mir um die Ecke die Nachbarn und protestieren an der großen Zufahrtsstraße und halten ihre Schilder hoch. Das sind keine Aktivistinnen, das sind keine Organizers. Das merkt man dem Protest auch ein bisschen an, aber die sind eben auf der Straße. Darüber wird niemand schreiben, das wird niemand sehen, außer die Leute, die nach dem Feierabend vorbeikommen. Aber es hat einen unglaublichen Effekt auf die Leute, die dabei sind, und auf die Leute, die das sehen. Diese Art von offenem Widerstand ist sehr wichtig, erreicht aber selten die Schlagzeilen.
Es gibt Streiks und Boykotte, die organisiert werden. Das ist sehr gut. Aber es gibt leider noch nicht diese Art von Generalstreik, die wirklich Sichtbarkeit im ganzen Land schaffen würde und auch diese Normalität durchbrechen würde, die wir jetzt häufig sehen. Das kann aber alles noch kommen.
Es ist erstaunlich, welchen Effekt diese Deportationen, diese illegalen Kidnappings, diese staatlichen Entführungen auf die Menschen hier im Land haben. Ich weiß nicht, ob das in Deutschland auch so wäre, aber hier ist es wirklich beeindruckend zu sehen. Es gibt eine große Solidarität und es gibt eine Wahrnehmung: Da ist jetzt eine Grenze überschritten worden. Wenn jemand, der eine Greencard hat, der seit Jahrzehnten hier im Land lebt, der seine Kinder hier zur Schule schickt, einfach so abgeholt, verschleppt und dann in diese Arbeitslager in El Salvador geschickt werden kann. Das darf nicht sein in einem Land, wo so viele Menschen ja keine Staatsbürger sind.
Was ist jetzt wichtig für euch aber auch für uns in Deutschland? In Sachsen-Anhalt könnte sich nächstes Jahr eine schwarz-blaue Landesregierung bilden. Die Kooperationen mit der AfD werden immer offener. Demokratische Engagierte und ihre Projekte werden angegriffen.
Für Deutschland ist die Gefahr natürlich real. Mein Eindruck ist aber, dass sie viel ernster genommen wird als hier. Also es gibt in Deutschland glaube ich niemanden, der an so eine Art deutschen Exzeptionalismus glaubt, dass das in Deutschland nicht passieren kann, dass eine AfD oder eine rechtsradikale Partei an die Macht kommt. Das ist erstmal gut, dass das ernst genommen wird.
Wichtig ist jetzt zu schauen: Wo sind wir angreifbar? Wo sind wir vulnerabel? Da geht es sehr konkret um Finanzen. Also wie kann man sicherstellen, dass Demokratie auch noch möglich ist, wenn eine Landesregierung Demokratieprojekten feindselig gegenübergestellt ist?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, eine Balance zu finden zwischen einerseits die Gefahr von rechts ernst zu nehmen und auch anzunehmen, also die Auseinandersetzung auch anzunehmen und diesen Kampf auch bereit sein zu führen und gleichzeitig nicht ihre Narrative von Stärke von Unbesiegbarkeit zu reproduzieren.
Natürlich sind rechte Regierungen, rechte Parteien, rechtsradikale Bewegungen besiegbar, und sie sind auch deshalb besiegbar, weil wir so viele sind und weil es in vielen Gesellschaften eigentlich noch einen großen und auch belastbaren Konsens darüber gibt, dass wir am Ende des Tages in einer liberalen Demokratie mit gewissen Grundwerten und Grundrechten leben wollen.
Natürlich sind rechte Regierungen, rechte Parteien, rechtsradikale Bewegungen besiegbar
Ich verstehe, dass es sich manchmal so anfühlt, als seien wir als demokratische Kräfte irgendwie in Rückzugsgefechten gefangen. Aber ich glaube das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, es ist eigentlich die Rechte, die auch deshalb jetzt so aggressiv auftritt, weil sie ein Rückzugsgefecht führt. Wenn man sich die längere Geschichte anschaut unserer Demokratie, dann ist eigentlich beeindruckend, was wir aufgebaut haben und was wir an Rechtsstrukturen geschaffen haben. Das ist historisch einmalig. Eigentlich ist es absurd, aber es gibt einen Teil in mir, der trägt eine große Hoffnung und einen großen Glauben an Zivilgesellschaft und daran, dass es uns gelingen kann, einen demokratischen Konsens eigentlich zu erhalten und der Rechten entgegenzutreten und auch zu gewinnen.